SHO CHA - Grüner Tee aus Japan

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Irrglaube #3 - Animes sind riesige Augen, quietschige Stimmen und nur was für Kinder

Mit Akira startete in den 80ern der Hype um japanische Animationsfilme.*

Auch wenn wir in unserem letzten Blogartikel der Reihe Irrglauben über Japan gezeigt haben, dass Japaner nicht in jeder Hinsicht fortschrittlich sind, so sind sie in einem absolute Spitzenreiter: Animationsfilme- und serien. Bei japanischen Animes scheiden sich oft die Geister. Für die einen sind es Kindertrickfilme und pubertäre Fantasien, für die anderen ein typisch japanisches Phänomen, dass man eh nicht versteht. Schade, denn einer der bequemsten und unterhaltsamsten Wege, mehr über Japan zu erfahren, ist Anime zu schauen. Doch ist der Einstieg bei der Vielzahl an Serien und Filmen, den vorherrschenden Klischees und den verschiedenen Genres gar nicht so einfach. Dazu sind die „typisch japanischen“ Anime, die durchaus auch die gängigen Klischees bedienen, oft nur an eine bestimmte Zielgruppe gerichtet oder schwer nachzuvollziehen.

Neben diesen typischen Animes gibt es jedoch eine ganze Reihe von Serien, die einfach gesagt “anders” sind. Animes, die stark durch westliche Kultur beeinflusst sind, Genregrenzen überschreiten und zurecht international große Anerkennung bekommen haben. Um also mit einigen Vorurteilen einmal aufzuräumen, stelle ich euch in meiner Liste einige dieser Anime-Serien vor. Und keine Angst: Bei Serien sind die Folgen üblicherweise auf 20-25 min begrenzt und so kann man relativ schnell herausfinden, ob einem das Ganze zusagt oder eher nicht.

1.       Cowboy Bebop - カウボーイビバップ

Es ist kein Zufall, dass der erste Eintrag dieser Liste auch gleichzeitig eine der ersten Anime-Serien war, die im deutschen TV über MTV im Jahr 2003 ausgestrahlt wurde. Denn: International gilt dieser „Space Western“ nicht nur als eine der besten Animes überhaupt, sondern auch als Vorzeigebeispiel in Sachen Animation, Soundtrack und erzählerischer Klasse. Eine Gruppe von Kopfgeldjägern („Cowboys“) um den Hauptprotagonisten Spike Spiegel findet sich im Jahre 2071 auf dem Raumschiff „Bebop“ zusammen. Gemeinsam erleben sie actionreiche, schräge und teilweise auch traurige Abenteuer. Folge um Folge erfährt man dabei mehr von der dunklen Vergangenheit und der Motivation der einzelnen Helden. Was die Serie ganz besonders ausmacht, sind neben dem jazzigen/funkigen, hochwertig produzierten Soundtrack sowie den flüssigen und detailreichen Animationen, die dichte Atmosphäre: melancholisch, düster und immer mit einem leicht satirischen Unterton zieht Cowboy Bebop einen schnell in seinen Bann. Dabei balanciert das Team um Regisseur Shinichirō Watanabe gekonnt Humor und Drama. Die Serie wurde sowohl in Japan als auch im Ausland gefeiert und mehrfach ausgezeichnet. Insbesondere der Zeichenstil und die Musik waren in Japan eine willkommene Abwechslung zum typisch niedlichen “Kawaii”-Stil und den gewöhnungsbedürftigen J-Pop-Soundtracks. Wenn ihr nur eine Serie schaut, dann sollte es Cowboy Bebop sein.

 

2.       Samurai Champloo - サムライチャンプル

Auch bei dieser Serie zeichnete sich wieder Regisseur Shinichirō Watanabe mit seinem Team verantwortlich. Nicht ganz so düster wie Cowboy Bebop sowie mit viel Humor und einem Hip Hop-Soundtrack ausgestattet, begleiten wir einen herrenlosen Samurai, einen Gesetzlosen aus Okinawa und ein junges Mädchen auf ihrem Road Trip durch das Japan der Edo-Zeit. Zusammen suchen sie den Samurai, der nach Sonnenblumen riecht. Samurai Champloo verbindet dabei mühelos das alte Japan des Mittelalters mit moderner Hip Hop–Kultur und vermittelt dem Zuschauer ganz nebenbei noch ein paar (frei interpretierte) historische Fakten. Wem das alles zu albern klingt, dem sei gesagt: für jeden Lacher gibt es auch eine Träne und für jede Slapstick-Einlage einen gewalttätigen Ausbruch. Das holt den Anime stets auf den Boden zurück und balanciert die Serie aus. Auch hier sind natürlich flüssige Animationen und dichtes Storytelling ein Markenzeichen der Serie und die perfekt choreografierten Kampfszenen sind sehr beeindruckend anzuschauen. Leider erging es der Serie ähnlich wie Cowboy Bebop in Japan: So sehr sie die Kritiker auch feierten, der große Erfolg blieb zumindest in Japan aus. Gerade einmal 26 Episoden und keine klar definierte Zielgruppe machten es schwer ein erfolgreiches Franchise mit einem der beiden Animes aufzubauen - die Grundvorraussetzung für Erfolg in Japan. Shinichirō Watanabe war die Verwirklichung seiner Vision wichtiger als das Vermarktungspotenzial. Ein Grund warum seine Animes so unglaublich gut sind.

 

3.       Mushishi - 蟲師

Mushishi ist nicht ansatzweise so bekannt, wie die zuvor genannten Serien und unterscheidet sich auch sonst in vielen Aspekten stark von anderen Animes. Liebesabenteuer, Schwertkämpfe, emotionale Ausbrüche oder rasante Kamerafahrten such man hier vergebens. Fast schon meditativ begleitet ein melancholischer Soundtrack den Hauptcharakter Ginko bei seiner Reise durch die geheimnisvolle von Mushi bevölkerten Welt. Diese Mushi können sowohl positive als auch negative Einflüsse auf Menschen und den Rest der Natur haben. Ginko ist ein Gelehrter, der Menschen, Tieren und Pflanzen bei den negativen Auswirkungen helfen kann. Die Erzählweise durch Ginko selbst, die unaufgeregte Handlung und die zurückgenommene Action tragen dabei stark zum entspannten Gefühl bei, was man beim Zuschauen bekommt. Dabei hilft, dass die Folgen in sich abgeschlossen sind und losgelöst voneinander geschaut werden können. Oftmals ausgesprochen traurig schön und ohne überraschende Wendungen, lässt sich schwer beschreiben, warum man ausgerechnet diese Serie gucken sollte. Bis man einfach eine Folge gebannt anschaut und für knapp 25 min seinen Alltag komplett hinter sich lässt.

 

4.       Full Metal Alchemist - 鋼の錬金術師

Full Metal Alchemist entspricht aus dieser Liste noch am ehesten den vorherrschenden Anime-Klischees. Das Gute: Hinter dem typischen Anime-Zeichenstil, den J-Pop-Titelsongs und den gelegentlichen, albernen Szenen versteckt sich eine beeindruckende und komplexe Story, die in perfektem Tempo erzählt wird. Mehr noch als Samurai Champloo oder Cowboy Bebop, lebt Full Metal Alchemist von dem Fortschreiten der Geschichte und der Entwicklung der Hauptcharaktere: Edward und Alphonse werden dabei bei ihrer oft schmerzhaften Entwicklung von Kindern zu Erwachsenen begleitet. Die Welt der beiden Brüder wird von Alchemie bestimmt und durch politische Intrigen, künstlich geschaffene Menschen und Krieg ins Chaos gestürzt. International gefeiert und erfolgreich zeigt dieser Anime, dass die alte japanische Formel bis ins Detail perfekt umgesetzt, durchaus etwas Neues und Einzigartiges schaffen kann. Wer sich also am leicht klischeehaften Zeichenstil nicht stört und bis nach dem Intro durchhält, wird mit einer spannenden und emotionalen Reise belohnt. Der Original-Anime von 2003 wurde 2009 nochmal als “Full Metal Alchemist: Brotherhood” veröffentlicht. Wenn auch das Remake näher am Manga ist und von vielen als sogar noch besser angesehen wird. schaue ich lieber das Original aufgrund seiner düsteren Atmosphäre und dem gleichmäßigen Erzähltempo.

5.       One-Punch Man - ワンパンマン

One-Punch Man stellt den perfekten Abschluss dieser Liste dar. Eben weil der Anime eine Parodie auf die vielen Anime-Klischees, wie dem immer stärker werdenden Helden oder zierlichen Mädchen in Not, ist. Dabei hilft, dass der Humor des Animes auch ohne Kenntnisse dieser Klischees bestens funktioniert. Die Story ist schnell erzählt: Saitama ist ein einfacher Büroangestellter, der sich nach einer Begegnung mit einem Monster dazu entscheidet Superheld zu werden. Jedoch besiegt er alle seine Gegner immer (ungewollt) mit einem einzigen Schlag. Der daraus resultierende Ärger seiner Gegner und Konkurrenten und der eigene Frust sorgen für jede Menge absurde Situationen. Die komplett gleichgültige Haltung mit der Saitama den bizarren Monstern und katastrophalen Situationen begegnet, macht es so unglaublich lustig anzuschauen. Sicherlich kein storytechnisches Meisterwerk oder eine Charakterentwicklung mit Tiefgang. Das versucht One-Punch Man aber auch gar nicht zu sein. Der Bud Spencer des Animes ist eben durch seine Gleichgültigkeit und Gutmütigkeit so unglaublich liebenswert und durch seine alltäglichen Probleme näher als herkömmliche Helden.

FAZIT: Für jeden was dabei

Diese 5 Titel kratzen nur an der Oberfläche des riesigen Katalogs jahrzehntelang veröffentlichter Anime-Serien. Aufgrund vieler internationaler Einflüsse, der mutigen Umsetzung neuer Ideen und der Andersheit dieser Titel bieten sie den perfekten Einstieg in die Welt japanischer Serienkunst. Der Tiefgang der Charkakterentwicklung und die Komplexität einiger Storylines wird sicher den ein oder anderen überraschen - soetwas ist man im Westen von “Cartoons” einfach nicht gewohnt. Und sollte bei dieser Liste keine passende Serie dabei sein, ist aufgrund der riesigen Bandbreite der verschiedenen Genres und ihrer Macher bestimmt irgendwo eine andere Serie, die auch euch gefällt. Genug gibt es jedenfalls: Schätzungen gehen von 10.000-15.000 existierenden Animeserien aus.

Quellen:

*Bild von Moujib Aghrout (Unsplash). Sein Instagram: https://www.instagram.com/mojaghrout